„Ja, halloo?! Brüssel an Ostbevern!“ begrüßte der Europaabgeordnete Nico Semsrott den Grundkurs Deutsch anstelle von Hr. Flothkötter. 45 Minuten („Solange der Energievorrat reicht“) stand er daraufhin den SchülerInnen Rede und Antwort, moderiert von der gut aufgelegten, souveränen Moderatorin Ana Martinic, die aus einem zuvor per Padlet erarbeiteten Fragenpool vier Themenbereiche ansprach: Es ging um die gesellschaftliche sowie politische Rolle der Medien, den Faschismus (früher und heute), Zivil-Courage und um ein Außenseiter-Dasein, etwa als Satiriker im EU-Parlament oder als Trafikanten-Lehrling im Wien um 1938.
Letzteren beschreibt Robert Seethaler in seinem Roman „Der Trafikant“, in dem genau diese Themen eine zentrale Rolle spielen und die nun durch die launigen, mitunter auch polarisierenden Ausführungen des Europaabgeordneten Nico Semsrott pointiert aktualisiert wurden.
"So viel Aufregung, so viel gedrucktes Geschrei" heißt es etwa im Roman zur Rolle der Medien in der NS-Zeit und der virtuell per Teams zugeschaltete Gast erörterte die Frage, welche Rolle die Medien heute für die Politik und Gesellschaft - gerade auch die sogenannten "sozialen Medien" – und für ihn persönlich bzw. für seine Arbeit spielen.
Weiter ging es mit dem Thema Zivilcourage: Am Ende des Romans von Robert Seethaler zeigt der Protagonist Franz Huchel großen Mut und subversives Engagement, indem er etwa eine NS-Fahne heimlich austauscht und stattdessen die Hose eines vermeintlichen, von den Nazis ermordeten Juden, hisst. Diese Aktion endet für ihn mit dem Abtransport durch die Gestapo (und seinem Tode) – im Gespräch mit dem Europaabgeordnetem ging es nun darum, wie wichtig heute generell Zivilcourage, aber auch spezielle symbolische Aktionen, die (auch) nachteilig für die Handelnden sein können, sind oder wo es heute besonderer Zivilcourage bedarf. Hier gab er Nico Semsrott zu, dass seine satirischen Mittel mitunter großen Mut und Überwindung kosteten, er dies aber nicht als Form von Zivilcourage sehe.
Damit war ein Gespräch über seine Arbeit eröffnet und auch die Frage, ob satirische Mittel geeignet seien, ernsten Themen wie etwa dem Faschismus zu begegnen und was seine Motivation im Parlament sei. „Eure Fragen sind ja deprimierter als ich es bin“, scherzte der Gast, der auch persönliche Einblicke gewährte, indem er etwa von depressiven Phasen oder ehrlichen Zweifeln an seiner eigenen Vorgehensweise berichtete.
Insgesamt ging es oft heiter im Ton und zugleich ernst in der Sache zu: „Bin ich verrückt geworden? Oder (...) die ganze Welt?" fragt sich der jugendliche Protagonist im Roman kurz nach seiner Ankunft in Wien im Jahre 1938 , aber dieser Satz hätte auch aus dem Mund von Nico Semsrott stammen können, der Einiges zu erzählen wusste von Skurrilitäten im Europaparlament und seiner Arbeit dort.
„Europa- besser als nichts“, so sein provozierendes Fazit, das es sicher ebenso wie zahlreiche weitere Aspekte und Themen in den kommenden Unterrichtsstunden zu diskutieren gilt.